Zwei Seiten derselben Urkraft
Wenn wir heute über Kraftorte sprechen, verwenden wir oft Begriffe wie männlich und weiblich, um unterschiedliche energetische Qualitäten zu beschreiben. Diese Sprache ist nicht wörtlich zu verstehen, sondern dient als symbolische Vereinfachung, um Prinzipien greifbar zu machen, die in vielen Kulturen seit Jahrtausenden existieren – vom chinesischen Yin und Yang über indische Konzepte wie Shakti und Shiva bis hin zu europäischen Naturkulten.
Das männliche und das weibliche Prinzip
Um zu erklären, wie Kraftorte wirken, wird häufig auf das Spannungsfeld zwischen männlichem und weiblichem Prinzip zurückgegriffen. Wichtig ist: Es geht nicht um Geschlechterrollen. Beide Prinzipien sind in jedem Menschen und in jeder Landschaft zu finden.
Das männliche Prinzip
- Eigenschaften: Stärke, Durchsetzungskraft, Dynamik
- Elemente: Feuer und Luft
- Wirkung: aufsteigend, aktivierend, antreibend
- Symbolik: vertikal, aufragend, kantig
Das männliche Prinzip steht für Impuls, Richtung und Macht. Seine Energie ist nach außen gekehrt und wirkt oft unmittelbar und intensiv.
Das weibliche Prinzip
- Eigenschaften: Nachgiebigkeit, Empfänglichkeit, Ruhe
- Elemente: Wasser und Erde
- Wirkung: nährend, sammelnd, umhüllend
- Symbolik: horizontal, rund, öffnend
Das weibliche Prinzip darf jedoch nicht mit „schwach“ oder „sanft“ verwechselt werden. Wasser kann Täler formen, Fluten können zerstören; Erdrutsche können ganze Landschaften verwandeln. Auch hier wirkt eine gewaltige Kraft – nur anders.
Die Kraftorte selbst: Wenn Landschaft Energie formt
Seit der Steinzeit beobachteten Menschen die Natur und spürten, dass bestimmte Orte eine besondere Wirkung haben. Ob die frühen Kulturen diese Plätze durch Rituale nutzten oder dort siedelten – die Landschaft selbst gab oft die Rolle vor.

Die Externsteine: Paradebeispiel für einen männlichen Kraftort mit eindeutig phallischen Strukturen.
Männliche Kraftorte
Sie wirken aufsteigend, stoßhaft, präsent. Typische Formen:
- steil aufragende Felsen
- Solitärfelsen oder spitze Klippen
- exponierte Höhenzüge
- phallische Felsformationen
Solche Orte symbolisieren Aufbruch, Mut, Stärke und Verbindung zum Himmel. Beispiele:
- Externsteine (NRW) – markante, senkrechte Sandsteinpfeiler, die wie uralte Wachtposten aus dem Wald ragen.
- Rabenfels bei Auerbach i.d. Oberpfalz: Opferfelsen, an dem in alten Kulturen Rituale stattfanden. Es gibt Berichte über Gefäße, die man von oben warf – ein symbolischer Akt des Loslassens oder Opferns
- Brocken im Harz – es handelte sich nicht um einen Kultort, sondern in früheren Vorstellung eher um eine No-Go-Area, an dem Götter und / oder böse Geister hausen
- Teufelsmauer im Harz mit steil aufragenden, bizarren Felsen
Die vertikale Ausrichtung sorgt dafür, dass wir uns hier oft „aufgerichtet“ oder „konfrontiert“ fühlen.

Das Portal der Esperhöhle lässt erahnen, warum sie eine Opferstätte vor allem für Frauen und Kinder war.
Weibliche Kraftorte
Diese Orte wirken empfangend, schützend, fließend. Typische Formen:
- Quellen
- Höhlen
- sanfte Senken oder Mulden
- wasserreiche Landschaften
- Heilige Haine – diese sind heutzutage aber überwiegend verschwunden.
Quellen wurden vielerorts als heilige Orte der Heilung verehrt – Wasser als Träger von Leben und Erinnerung.
Höhlen waren dagegen uralte Übergangsräume: Orte des Schutzes, der Geburt, aber auch der Toten. Sie verbinden das Obere mit dem Inneren, das Sichtbare mit dem Unsichtbaren.
Weibliche Kraftorte:
- Rhumequelle
- Kelle bei Appenrode / Harz – Höhlenruine
- Blautopf bei Blaubeuren
- Jungfernhöhle und Esperhöhle in der Fränkischen Schweiz
In Höhlen in der Fränkischen Schweiz wie der Jungfernhöhle oder der Esperhöhle fand man überwiegend die Knochen von Frauen und Kindern. Es ist denkbar, dass Männer anders bestattet wurden – vielleicht auf Felsen, den Raubvögeln ausgesetzt (wie es z. B. in Malta praktiziert wurde), oder durch Verbrennung. Solche Unterschiede könnten auf alte rituelle Rollen oder auf das energetische Verständnis der Orte zurückgehen.
Spannend ist auch: im Mittelalter bis in die Neuzeit galten Frauen im Abendland als dem Mann unterlegen aufgrund fehlender Geisteskräfte.
Dies galt interessanterweise nicht für den Orient: hier galt die Frau vor allem als gefährlich, deswegen musste sie eingesperrt und von Männern überwacht werden. Sehr gut möglich, dass hier alte archaische Vorstellungen überlebt haben (Quelle: Fatima Mernissi – Der politische Harem u.a.)
Mythologische Spiegelungen
Viele Kulturen ordneten Naturphänomene ihren Göttern zu:
- Wasserwesen wie römische Nymphen sind meist weiblich.
- Vulkan (Vulcanus), der Gott des Feuers, ist männlich.
- Die Herdflamme hingegen – eigentlich ein Feuer – gehört der Göttin Vesta, was zeigt: Die Elemente selbst sind nicht eindeutig festgelegt.
Mythologie und Landschaft spiegeln ein gemeinsames Weltbild: Orte haben Wesen, und dieses Wesen kann männlich, weiblich oder beides sein.
Die spannendsten Orte: Wenn beide Prinzipien aufeinandertreffen

Der Hohle Fels bei Schwabthal
Dieser Ort ist ein faszinierendes Beispiel für duale Energie.
- Außen: ein mächtiger Felsblock, aufragend, massiv → männliches Prinzip
- Innen: eine Höhle, die sich öffnet, birgt und empfängt → weibliches Prinzip
Solche Orte fühlen sich oft besonders intensiv an, weil hier Gegensätze nicht konkurrieren, sondern ineinandergreifen. Sie bilden einen natürlichen Übergang, einen Raum der Balance – oder der Spannung, je nachdem, wie man es erlebt.

Das Walberla – spiritueller Berg in Franken
Das Walberla ist interessanterweise ein weiblicher Kraftort – trotz schroffer und markanter Felsen. Dies liegt sicherlich am sanft abfallenden Abhang zwischen der Walburgiskapelle und dem Rodenstein.
Im Gegensatz dazu ist der Staffelberg bei Bad Staffelstein eindeutig ein männlicher Kraftort – obwohl die auf den Felsen befindliche Kapelle der heiligen Adelgundis geweiht wurde.
Warum diese Unterscheidung heute noch spannend ist
Ob wir es bewusst wahrnehmen oder nicht: Menschen reagieren auf Landschaften. Die Einteilung in männliche und weibliche Kraftorte ist ein Versuch, diese Reaktionen in eine verständliche Sprache zu bringen. Sie hilft uns:
- Orte intuitiv zu begreifen
- Energien im Körper und in der Natur zu verbinden
- Geschichte, Mythologie und Geologie gemeinsam zu betrachten
Und vielleicht – ganz praktisch – erklärt sie auch, warum wir uns an der Quelle ruhig fühlen, aber auf dem Felsen plötzlich mutig oder wagemutig werden.
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