Von der Urmutter zur Unsichtbaren: Die verdrängte Weiblichkeit in Religion und Kultur
Die Unterdrückung des Urweiblichen aus archäologischer und spiritueller Sicht
These: Mit der Sesshaftwerdung des Menschen vollzog sich ein Wandel in der Beziehung von Männern und Frauen. Mit dem Beginn und der Durchsetzung von monothestischen Religionen wurden Frauen (mehr oder weniger stark) in den Hintergrund gedrängt. Ein Prozess, der um 6000 vor Christus in Europa begann, wurde innerhalb von nicht einmal hundert Jahren im 20. und 21. Jahrhundert wieder umgekehrt – zumindest teilweise. Religionen wie Katholizismus und Islam halten nach wie vor dagegen. Doch wie genau ging der Wandel vonstatten? Der Versuch einer Erklärung anhand faszinierender Funde.
Steinzeit - 35.000 v.Chr.
Erste figürliche Darstellungen von Frauenkörpern

Darstellungen von Frauen – wie etwa die berühmten Venusfiguren von Hohlefels oder Willendorf – gehören zu den ältesten figürlichen Kunstwerken der Menschheitsgeschichte. Vermutlich stellten sie eine Muttergöttin da und hatten kultische Bedeutung. Auffällig ist: Eindeutig männliche Darstellungen tauchten erst wesentlich später auf. Das Weibliche nahm in der frühen Menschheitsgeschichte offenbar eine zentrale, hochgeschätzte Rolle ein.
10.000 v.Chr.
Göbekli Tepe – der älteste Tempel der Welt
Vor zehntausend Jahren entstand in der Türkei am Göbekli Tepe der älteste Tempel der Welt – erbaut von Jägern und Sammlern. Während des Baus kam es zur „Entdeckung“ von Ackerbau und Viehzucht. Die neolithische Revolution änderte alles – auch das Verhältnis von Männern und Frauen. Es dauerte jeoch noch mehrere tausend Jahre, bis diese Kulturtechniken nach Mitteleuropa kamen.
7000 v.Chr. - Jäger und Sammler
Die Schamanin von Bad Dürrenberg

Die Schamanin von Bad Dürrenberg muss eine faszinierende Persönlichkeit gewesen sein. Das belegen nicht nur körperliche Anomalien, die die Menschen damals glauben ließen, sie sei mit den Geistern im Bunde. An ihrem Grab wurden noch 600 Jahre nach ihrem Tod Opfergaben abgelegt. Ihr Ruf muss legendär gewesen sein – in einer Zeit ohne Schrift mit ausschließlich mündlicher Überlieferung.
Ab 6000 v.Chr. Sesshaftwerdung in Europa
Jungfernhöhle – Kannibalismus in der Fränkischen Schweiz?
In der Jungfernhöhle bei Bamberg wurden die Skelette überwiegend von Frauen und Kindern aus der Zeit der Bandkkeramik gefunden, als die Menschen nun auch in Europa sesshaft wurden. Die Knochen wiesen dabei merkwürdige Ritzungen auf – vermutlich ein Totenritual und ein Zeichen für eine (noch) bestehende spirituelle Trennung von Männlichem und Weiblichem.
Ab 5300 v.Chr.
Massengräber, Massaker und Frauenraub

Im Grab von Herxheim wurden etwa 1000 Menschen innerhalb von nur 50 Jahren begraben und die Knochen dabei abgeschabt und zerbrochen. Handelte es sich um Menschenopfer oder gar Kannibalismus? Sicher ist: mit der Sesshaftwerdung kam es zu Kämpfen, wie das Massaker von Thalheim belegt. Da keine weiblichen Skelette gefunden wurde, gilt Frauenraub als wahrscheinliches Motiv. Frauen waren zur Ware und zum Besitz von Männern geworden.
Ab 4800 v.Chr.
Kreisgrabenanlagen – Beginn des Sonnenkults

Mit dem Ackerbau kam die Notwendigkeit, die besten Zeiten für Aussaat und Ernte zu bestimmen. Dafür entstanden gewaltige Kreisgrabenanlagen wie bei Goseck, exakt ausgerichtet auf Sommersonnenwende und Equinox. Die Sonne rückte ins Zentrum des Glaubens, Muttergöttinnen in den Hintergrund. Der Mensch begann, die Landschaft aktiv zu formen und sich die Natur untertan zu machen.
Ab 3500 bis 2200 v.Chr.
Megalithanlagen

Bei den Megalithgräbern u.a. aus Norddeutschland handelte es sich um Familiengräber, in denen Männer und Frauen gleichermaßen bestattet wurden. Es wurden auch weitere Kreisgrabenanlagen geschaffen – z.B. das Ringheiligtum Pömmelte, sowie auch der Steinkreis von Stonehenge (der allerdings auf älteren Kreisgrabenanlagen beruht).
2800 bis 1300 v.Chr.
Bronzezeit

Mit der Entdeckung von Legierungen wie Bronze enstanden prachtvolle Kunstwerke – allen voran die Himmelsscheibe von Nebra, aber auch zahlreiche weitere historische Kunstschätze wie die Sonnenbarke von Trundholm. Aus dieser Zeit stammen die meisten Hügelgräber Europas.
1300 - 800 v.Chr
Urnenfelderkultur – Übergang der Bronzezeit zur Eisenzeit

Die Kreisgrabenanlagen und Megalithgräber wurden aufgegeben – dafür nutzten die Menschen markante Opferplätze wie den Rabenfels bei Auerbach, die Kemitzensteine oder die Schellnecker Wände im Altmühltal als Opferplätze. Am Fuße der Felsen wurden zahlreiche Tonscherben gefunden – offenbar wurden Gefäße mit Opfergaben von den Felsen geworfen. Spannenderweise lässt sich dies z.B. nicht für die Externsteine nachweisen.
800 v.Chr. - 0
Zeit der Kelten und Römer

Dank den schriftlichen Aufzeichnungen der Römer wissen wir viel über römische Götter und Rituale. Die Frau war eine Sache, die von der Gewalt (potestas) ihres Vaters in die des Ehemanns überging und über ihre Mitgift nicht frei verfügen durfte. Die Kelten hatten keine Schrift, aber auch hier wird von einer eher eingeschränkten öffentlichen Rolle der Frau ausgegangen.
0 - 300 n. Chr.
Beginn des Monotheismus

Im römischen Reich änderte sich die Stellung der Frau etwas – sie blieb nun immer der Familie ihres Vaters zugehörig und hatte mehr Rechte, konnte zum Beispiel erben. Durch verstärkte monotheistische Stömungen wie das aufkommende Christentum (aber auch römische Sonnengötter wie Elagabal und Sol) wurden weibliche Göttinnen wie Venus oder Juno in den Hintergrund gedrängt.
300 - 1300
Christianisierung Europas

Die Christianisierung Europas dauerte rund 1000 Jahre. Im 4. Jahrhundert wurde das Christentum zur Hauptreligion im römischen Reich. Im 6. bis 8. Jahrhundert wurden große Teile Europas durch irische Missionare bekehrt. Im 9. Jahrhundert setzte Kaiser Karl der Große das Christentum mit Gewalt gegenüber den Slawen durch. Mit dem Fall der Jaromarsburg um 1300 auf Rügen am Kap Arkona ging das letzte heidnische Reich unter.
1300 - 1700
Reformation und Hexenverfolgung

Die Reformation war ein tiefer Einschnitt im Christentum. Die Verehrung von Maria und Heiligen als Fürbitter wurde abgeschafft. Jetzt stand nur noch Gott im Fokus. Brutale Glaubenskriege ließen die Menschen verelenden. Dies gipfelte in die Hexenverfolgung – etwa 50.000 Personen fielen dem Wahn zum Opfer. Dir Kirche stand Frauen noch misstrauischer gegenüber als zuvor.
1700 - 1900
Die Aufklärung

Mit der Aufklärung trat das Spirituelle zunehmend in den Hintergrund. Gott wurde zum fernen Uhrmacher erklärt, der die Welt erschaffen, aber sich anschließend aus ihr zurückgezogen habe. An die Stelle religiöser Deutung traten nun Technik, Vernunft und Wissenschaft. Für Frauen änderte sich dennoch wenig: Ihre Rolle blieb auf Kinder, Küche und Kirche beschränkt.
1900 bis heute
Und jetzt?
In den letzten 125 Jahren hat sich unglaublich viel getan. In den meisten Teilen der Welt sind Frauen und Männer nun (mehr oder weniger) gleichgestellt, in vielen Ländern herrscht Demokratie. Religiosität gipfelt aber immer öfter in Extremismus – im Islam (z.B. ISIS in Syien und Irak) wie auch im Christentum (Evangelikale in den USA). Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist noch immer in Gefahr.
Quellennachweise:
Venus of Willendorf – Bjørn Christian Tørrissen
Göbekli Tepe: Beytullah eles
Schamanin Bad Dürrenberg – @ nejron, depositphotos.com
Aachener Dom – adobe.stock – hespasoft