Geht das überhaupt?

Ihr kennt das sicher. Neulich erst wieder erlebt:  ich achte durchaus auf die Umwelt, versuche, auf Plastikverpackungen zu verzichten, benutze Haarwaschseife statt Shampoo mit Mineralölbestandteilen, wohne in einem vernünftig isolierten Haus. Aber dann hatte ihr Besuch und öffnete für diesen eine Dose Cola, weil ich selbst keine Cola trinke und eine keine Zwei-Liter-Flasche nicht wegbekomme, und mein Besuch eröffnet mir: „Die Herstellung solcher Dosen ist aber nicht gut für das Klima.“
Natürlich kam ich mir in diesem Moment unglaublich dumm vor. Im Nachgang habe ich mir überlegt, dass dieser Spruch genau von den Leuten kam, die ansonsten auf wenig achten und dazu mindestens zweimal im Jahr in den Urlaub fliegen.
Tja, die größten Klimakiller, so heißt es gerne, sind: 
Kinder bekommenFlugreisen machen In schlecht isolierten Häusern wohnenFleisch essenAuto fahren
Was dabei nicht berücksichtigt wird: auch wenn wir uns noch so sehr einschränken und Verzicht üben – die größten Klimasünder sind und bleiben die großen Industriekonzerne und die Landwirtschaft. Wir können noch so viel Plastik einsparen – das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die einzige Möglichkeit, etwas langfristig zu verändern, besteht darin, dass die Politik endlich auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit setzt und bei den Industriekonzernen anfängt. 
Beispiele:Es kann nicht sein, dass in den USA Fastfood günstiger ist als frisches Obst.Es braucht Alternativen zur Massentierhaltung. Es ist wichtig, den Nahverkehr gut auszubauen – und auch ein schnelles Bahnnetz in Europa zu schaffen mit erschwinglichen Fahrpreisen. Dann könnte man auch darüber nachdenken, CO2-Steuern zu erheben oder Binnenflüge zu verbieten.

Nachhaltige Verkehrsinfrastruktur

Wenn die Infrastruktur nicht da ist, tut sich nichts. Ich wollte Anfang 2019 mit zwei Wochen Vorlaufzeit mit der Bahn nach Berlin fahren. Nachdem das Ticket hin und zurück 200 € pro Person (Sparpreis, mit Zugbindung) gekostet hätte. Und nein, man kann nicht jede Reise bereits Monate im Voraus planen. Eine Alternative wären noch Busse gewesen, doch die brauchen einfach ewig. Da bin ich doch lieber mit dem Auto gefahren. Da war ich dann auch noch flexibel. Ich hätte auch fliegen können, das wäre vielleicht noch günstiger gewesen.

Nachhaltiger Urlaub

Ich bereise sehr gerne andere Länder und zu manche Reiseziele kommt man nicht mit den Öffentlichen (zum Beispiel nach Island). Immerhin gibt es mittlerweile die ersten Elektroflugzeuge, die zum Beispiel Easyjet ab 2020 einsetzen möchte. Bleibt die Frage, woher der Strom dafür kommt. Kohlekraft? Kernenergie?
Auch in der Kreuzfahrtbranche tut sich Einiges hinsichtlich Klimaschutz. So soll das umweltschädliche Schweröl durch (zumindest etwas) umweltfreundlichere Technologien wie Marinediesel ersetzt werden, mittlerweile gibt es auch Hybridantriebe, die am mit Strom fahren können. Bleibt wieder die Frage: woher soll der Strom kommen? Und auch, wenn die Kreuzfahrtindustrie hier tapfer voranschreitet, werden auch die alten Dreckschleudern noch eine Weile im Einsatz sein – von Fracht- und Containerschiffen mal ganz zu schweigen. 

Gesunde Ernährung

Europa produziert massenhaft Fleisch und landwirtschaftliche Produkte. Die Massentierhaltung beliefert uns mit günstigem Fleisch, allerdings nicht nur uns in Deutschland, große Teile davon werden auch zum Schnäppchenpreis exportiert. In Osteuropa ist zum Beispiel deutsches Hähnchen unter Umständen günstiger als einheimisches.Dafür Dafür wird der Boden mit Gülle getränkt, manche Regionen übersteigen die EU-weit vorgeschriebenen Nitratwerte um ein Vielfaches. Es wird sogar Gülle importiert, um dieses kostenpflichtig zu entsorgen. Dass ein hoher Nitratgehalt schlecht für das Grundwasser ist und möglicherweise höhere Wasserkosten nach sich zieht, wird dabei nicht weiter beachtet.In Afrika sind europäische Tomaten günstiger als einheimische Tomaten.
Die EU behauptet, Fluchtursachen zu bekämpfen, und sorgt an anderer Stelle erst wieder dafür, dass die armen ehemaligen Tomatenfarmer, für die sich in ihrem Heimatland die Arbeit nicht lohnt, keinen anderen Ausweg sehen, als nach Europa zu kommen, wo sie dann die Tomaten aus den Gewächshäusern ernten und dabei unter Umständen leben, die man auch als moderne Sklaverei bezeichnen könnte, und die oft auch Opfer von Gewalt werden. 

Nachhaltiger Kaffee?

Zum Thema Ernährung möchte ich noch ergänzen: einige Zeit habe ich bewusst auf exotisches Obst verzichtet wie Kiwi Gold aus Neuseeland oder Blaubeeren aus Peru – bis mir eingefallen ist, dass Bananen, auf die ich eigentlich nicht verzichten wollte, aus Brasilien stammen und dass Kaffee auch nicht zu Hause im Garten wächst.

Nieder mit den Moralaposteln

Es ist überaus lobenswert, wenn sich jeder einzelne von uns im Kleinen mit dem Thema Umweltschutz beschäftigt, aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Nachhaltigste, was wir wohl tun können, ist, wählen zu gehen und die Weichen der Politik neu zu stellen, oder uns selbst zu engagieren. Politik zu betreiben frisst allerdings endlos Zeit und deswegen habe ich vollstes Verständnis, dass dies nicht jeder aufbringen möchte oder auch kann. Das Scheinheiligste, was wir machen können, ist, andere für ihren Lebenswandel zu kritisieren. Niemand von uns ist perfekt und hundertprozent ökologisch. Wer keinen ökologischen Fußabdruck besitzt, werfe die letzte Cola-Dose (oder so).Du lebst in jeglicher Hinsicht nachhaltig? Dann herzlichen Glückwunsch. Du fühlst dich allerdings noch dazu berufen, anderen ihre (vermeintlichen) Verfehlungen vorzuhalten?Hm. Solange es im Großen und Ganzen nicht viel ausmacht, wie soll man dann Menschen vorhalten, dass sie ein Leben ohne Verzicht auf Kinder, Flugreisen oder Fleisch führen möchten?

Nachhaltigkeit – auch eine Frage des Geldbeutels

Klar, ein Passivhaus ist schick, aber wer kann es sich leisten, darin zu wohnen? (möglicherweise diejenigen, die Fernreisen machen und einen SUV fahren …)Bio-Obst ist schön und gut, aber was, wenn jemand jeden Euro zweimal umdrehen muss, um über die Runden zu kommen?Dass eine Alleinerziehende mit Job evtl. keine Zeit hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sollte auch klar sein.
Um nachhaltig zu leben, muss man dazu informiert sein. Die meisten wissen vielleicht, dass SUVs nicht die umweltfreundlichsten Autos sind. Wer macht sich aber Gedanken darüber, dass Shampoo Mineralölbestandteile und Mikroplastikteilchen enthalten kann?
Wer eine Pelletheizung hat, freut sich vielleicht darüber, dass es sich um einen nachwachsenden Rohstoff handelt, verkennt aber vielleicht,  dass es sich gleichzeitig um eine Feinstaubschleuder handelt. 

Fazit:

Schön, wenn du die Möglichkeit hast, nachhaltig zu leben. Es ist aber jedem einzelnen überlassen, wie nachhaltig er wirklich leben möchte und leben kann. Solange es mühsam und anstrengend ist, nachhaltig zu leben und man oft auch nicht weiß, wie, kann man niemandem vorwerfen, nicht nachhaltig zu leben.